Yad Vashem

von Anna Gamma (Kommentare: 0)

Wir begannen den Tag meditierend auf einer der schönsten Terrassen in der Altstadt - im Pilgerhaus von Ecce Homo. Weit reicht der Blick vom heftigst umstrittenen Tempelberg (für die Juden) oder Haram E-Sharif (für die Muslime) über die dicht verschachtelten Dächer der Altstadt Richtung Süden, wo Bethlehem liegt.

Heute stand die Besichtigung von Yad Vashem auf dem Programm, der berühmten Holocaust Gedenkstätte. Ich sass länger mit der Frage, ob über diesen Besuch überhaupt sinnvoll zu schreiben ist, bis ich dann trotzdem zu schreiben begann. Alles bleibt Stückwerk, irgendwie verkehrt und falsch, weil das Ausmass der Ungeheuerlichkeit, die einem dort auf kleinstem Raum entgegen tritt, einfach nicht zu fassen ist. Es braucht Mut, sich der grausamen europäischen Geschichte zu stellen, sich berühren zu lassen vom Jubel der Massen für Hitler, den menschlichen Abgründen in der Vernichtungsmaschinerie der Konzentrationslager, den Demütigungen... Michal Talya, eine Psychotherapeutin, Heilerin, Musikerin - und langjährige Freundin von Maria-Christina Eggers - begleitete uns. Sie bereitete uns vor und lud uns ein, „without shame and blame“ durch die Stätte der Erinnerung zu gehen. Scham und Schuld helfe niemandem. Und wir fragten uns, wie diese Wunde im Organismus des Volkes heilen kann, denn wenn sie nicht heilen kann, leben die Israelis zwar befreit in ihrem eigenen Staat, sind aber nicht wirklich frei, sondern bleiben in der Furcht gebunden an eine schreckliche Vergangenheit. Michal klärte uns auf, dass die Heilung dieser Wunde für viele Israelis kein Ziel sei, denn damit einher gehe eine weitere Angst, nämlich einen wesentlichen Teil der nationalen Identität, der die unterschiedlichsten Strömungen in ihrer Gesellschaft verbindet, zu verlieren. Und sie ist liebevoll kritisch ihrem eigenen Volk gegenüber, wenn sie davon träumt, dass ihre Kinder einst eine palästinensische Gedenkstätte besuchen werden. Sie gehört zu jenen Israelis, die nicht wegschauen, sich für die Rechte der Palästinenser einsetzen und sich engagieren für die Versöhnung mit den Deutschen.

Die Betroffenheit eines Teilnehmers öffnete eine weitere Dimension. Unter Tränen berichtete er, dass er zwar schon öfter in dieser Region unterwegs war, sich bis jetzt jedoch noch kaum auf die leidvolle Geschichte der Juden eingelassen habe. Bisher habe er vor allem das Leid der Palästinenser gesehen. Und je weiter er durch die Ausstellung ging, umso klarer habe er sehen müssen, dass er sich sowohl in den Tätern, wie auch in den Opfern wiedererkannt habe. Er brauche Zeit, diese Erkenntnis sei nur schwer zu fassen.

Wie heilsam Musik sein kann, durften wir an diesem Tag gleich noch zwei mal erleben. Ein Teilnehmer hatte bereits in der Wüste für uns auf der Querflöte gespielt. Heute lud er zu einem kurzen Konzert in Lithostrotos ein, dem Ort wo Jesus zum Tode verurteilt wurde und Pilatus die denkwürdigen Worte sprach: „Ecce Homo – Seht den Menschen.“ Die warmen Klänge der Flöte vertrieben die düsteren, inneren Nebel. Und das gemeinsame Singen bei der Shabbat Feier, zu der Michal uns eingeladen hatte, brachte die Lebensfreude zurück.

Alle Artikel anzeigen

Kommentare

Einen Kommentar schreiben

Bitte addieren Sie 1 und 3.