Versöhnungsreise Österreich - Tag 6

von Zen Zentrum (Kommentare: 0)

Dran bleiben

Ein warmer sonniger Morgen, mitten im Prater in Wien – unter Bäumen, auf der Wiese verwurzeln wir unsere Füsse in der Erde. Schichten der Geschichte dieses Ortes werden spürbar. Heute ein Platz von Ausgelassenheit, aber auch ein Platz für solche, die ihr Bett in der Nacht nicht mehr finden, oder die auch keines mehr haben. Ein Fluchtort damals und heute. In der Erde liegt ein Nachbeben von Kriegen, das bis in die Zeit der Türkenbelagerung zurückreicht. Mit der Kraft des Lichtes, von der Erde zum Himmel, horizontal und vertikal - begleitet von unserem Gebet, suchen wir Heilung, Befriedung und Versöhnung.

Damit begann unser Abschied von Wien.
Über den Semmering, vorbei an Peter Roseggers Waldheimat, durch das Mürz- und Murtal fahren wir nach Kärnten. Ein landschaftlich wunderschönes, aber auch von Kriegen und nationalistischen Konflikten gezeichnetes Land! In Villach werden wir von Karin Wernig herzlich empfangen. Für sie war es ein tiefer Wunsch, dass wir in ihre Stadt kommen und sie in ihrer Heilungsarbeit unterstützen. Nach den Eindrücken von Wien wirkt diese Stadt auf mich fast gesichtslos. Die vielen Bomben im letzten Krieg haben Lücken hinterlassen, die mit farblosen Neubauten gefüllt wurden. Wieder stehen wir, ähnlich wie in Wien, vor Häusern, aus denen Juden abgeholt wurden. «Alle ihre Sachen wurden auf die Strasse geworfen…»
Und wieder stehen wir wie in Linz vor einer Schule. Ein mächtiger Bau, vor dem ich innerlich zusammenschrumpfte. Das Gymnasium, das Karin selbst besucht hat und das sie noch in den 70ger Jahren als dumpf und dunkel erlebt hat. Bereits am 12. März 1938, einen Tag, bevor der «Anschluss» Österreichs an Deutschland offiziell wurde, erfuhren es die Lehrer. Ein Tag später nahm sich ein Lehrer für Geschichte und Geographie das Leben. Andere verschwanden spurlos von der Schule. Kurze Zeit später fand eine Bücherverbrennung im Schulhof statt. Dieser durchorganisierte Prozess, diese Geschwindigkeit, dieser Verlust an Freiheit in der Bildung junger Menschen! Diese autoritäre Manipulation - Bildung als ideologische Formung begeisterungsfähiger junger Menschen! Die Mauern des Gebäudes atmen für mich noch immer etwas von dieser Härte aus. Einmal mehr haben Beten, Singen und teilnehmendes Dasein geholfen. Kaffee und Kuchen waren danach dringend notwendig.

Über die Strasse des 20. Oktobers – die heisst tatsächlich so – fanden wir zur Drau. Sie ist ein Grenzfluss zwischen slowenisch sprechenden und deutsch sprechenden Kärntnern, ein Verbindungsfluss zwischen West und Ost. Auf der Brücke stehend erzählt Karin vom 20. Oktober im Jahr 1920. Es war der Tag der Abstimmung aller Bewohner Kärntens über die Gebiete südlich der Drau. Nach dem ersten Weltkrieg waren diese Gebiete mit slowenisch Sprechenden Slowenien zugesprochen worden. Das Ergebnis der Abstimmung zeigte, dass sich mehr als 50% der Kärntner Bevölkerung für den Verbleib in Kärnten entschieden hatten. Besiegelt wurde dieser Beschluss im sog. Kärntner Abwehrkampf. Bis heute werden die «Helden» (deutschsprechende Kärntner) dieses Kampfes gefeiert und besungen. Die Spannung zwischen diesen beiden Gruppen war damit nicht befriedet, sondern eher angeheizt – mit schrecklichen Folgen für die slowenischen Kärntner nach dem Anschluss an Hitlerdeutschland. Viele Slowenen wurden aus ihren Häusern ausgesiedelt, von ihren Höfen vertrieben und in Lager «verbracht». Mit einer Meditation am Fluss gedenken wir der tragischen Ereignisse und bitten um Heilung und Reinigung.

Zurück in der Altstadt besuchten wir die gotische Stadtkirche. Im gemeinsamen Singen breitete sich für mich ein heilsames Feld aus. Barbara v. Meiboms Hinweise, für die TeilnehmerInnen am G 20 Gipfel um Weisung zu bitten und diejenigen mit einzuschliessen, die im Namen von Gott Menschen verführt haben oder verführt wurden. Auf dem Weg durch die Stadt forderten mich zwei Gedenktafeln heraus - sie könnten nicht unterschiedlicher sein -, dran zu bleiben. Die erste war eine Inschrift an der Aussenmauer der Kirche. Dort steht: «Den Söhnen der Stadt, die im grossen Krieg um Heimat und Deutschtum eines ehrenwürdigen Todes gestorben sind. Zu Ehr und Dank und ewigem Gedächtnis». Die zweite war die Erinnerungstafel für die jüdischen Opfer des Nationalsozialimus, die in der Klinik im Spiegelgrund, in der Tötungsanstalt in Hartheim und in verschiedenen Konzentrationslagern ermordet wurden. Die Liste derer, die für dieses schlichte Mahnmal gesorgt haben, ist lang. Die Kärntner FPÖ-Regierung aber fehlt.
Danke Karin – es ist wichtig, dass wir hierhergekommen sind. Ich werde dran bleiben.

Barbara Knittel

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