Versöhnungsreise Österreich - Tag 4

von Bernadette Vögele (Kommentare: 3)

Wien

«Danke, dass ich Euch heute MEIN Wien zeigen durfte…», mit diesen Worten verabschiedet sich Thomas Andreas Beck für heute von uns. Ich sitze in der lauen Abendluft auf dem Balkon meines Hotelzimmers in unmittelbarer Nähe zum Prater. Ich sehe das Riesenrad und die bunt glitzernden Bahnen und höre das Schreien der Wagemutigen, die sich vergnügen. Im Hintergrund das rauschende Pulsieren der Grossstadt. Und was schreibe ich zum heutigen Tag in den Blog? - Wir sind nicht auf einer Touristenreise, nicht für Sightseeing, Theater- oder Opernbesuch in dieser Stadt. Ich bin voller Eindrücke und weiss nicht so recht, wie und was formulieren. Ich erlebe eine innere Angespanntheit. Ich muss mich bündeln, um fokussiert bleiben zu können – die Sommerhitze macht es nicht einfacher.

Nach Wir-Runde und einem spannenden, mich anregenden Vortrag von Barbara von Meibom zum Thema Scham, reisen wir in der Mittagszeit nach Wien. Thomas Andreas holt uns ab und führt uns auf einem ausgedehnten Spaziergang zu Stätten, an denen wir der Opfer und Täter des Nationalsozialismus gedenken. Anna hält uns an, die Stadt im Gehen wahrzunehmen, uns nicht vom Grossstadttrubel einfangen zu lassen, sondern hinzulauschen, was uns der Boden, auf dem wir gehen sagt. Unser erstes Ziel ist das Mahnmal für die Opfer von Krieg und Gewalt von Alfred Hrdlicka, aus dem grössten Granitblock gearbeitet, der in Mauthausen je gehauen wurde.
Beim Mahnmal für die österreichischen jüdischen Opfer der Schoah am Judenplatz ist die Energie so tief, dass es für alle deutlich wahrnehmbar und für manche schwer auszuhalten ist. Wir fragen uns: woher kommt so viel Schwere? Ich spüre: Da sind die Opfer des Nationalsozialismus. Da sind Jahrhunderte alte Konflikte. Da ist die Schwierigkeit der Vergebung. Da ist Aus- und Abgrenzung. Da ist Wut. Da sind Macht und Ohnmacht.
Das gemeinsame Heilungsritual hebt schliesslich die Energie.

Nicht weit vom Judenplatz ist der Morzinplatz. Ein unscheinbarer, verwahrlost wirkender Platz. In einer Ecke ein Mahnmal aus Mauthausener Granit - schon wieder. Es erinnert daran, dass hier die Gestapo ihren Hauptsitz hatte. Ich verstehe Thomas’ Wut über die Schäbigkeit der Stätte. Die Inschrift «…Österreich aber ist Wiederauferstanden und mit ihm unsere Toten die unsterblichen Opfer» erscheint plötzlich als Hohn, wenn man bedenkt, dass Hitler Österreicher war. Für mich stellt sich die Frage: wie gestaltet man Mahnmale in einer Weise, dass sie uns mahnen ohne zu schulmeistern? Dass sie uns anhalten hinzuschauen, nicht nur auf die Vergangenheit, auch auf das Heute. Dass sie uns auffordern, aufmerksam zu sein und hinzuhören, wie der Puls der Welt geht. Dass sie uns ermutigen, hinzustehen und einzustehen für Menschlichkeit. Dass sie uns bestärken, zu Schuld zu stehen und um Vergebung zu bitten. Dass sie uns ermächtigen zu vergeben. Dass sie uns unterstützen, beharrlich dem Weg des Herzens zu folgen.

In der Leopoldstadt erinnern auf dem «Weg der Erinnerung» in den Boden eingelassene Platten namentlich an Juden, die von hier unter der Naziherrschaft deportiert wurden und grösstenteils in Konzentrationslagern ihren Tod fanden. Die Zahlen sind hoch: 102 Frauen und Männer und 8 Kinder aus einem Haus, 4 Personen aus einem anderen, andernorts erneut 4. So geht es weiter - und wir begehen nur einen Teil des Weges… Die Zahlen sind hoch, aber nur gerade so hoch, dass ich mir konkret eine Vorstellung machen kann – das macht für mich die Grausamkeit noch unfassbarer. Da taucht wieder auf, was mich gestern angerührt hat: es sind nicht DIE Opfer und DIE Täter, es sind alles einzelne Menschen.

Ich habe am ersten Tag, der schon unglaublich lange her zu sein scheint, geschrieben, dass wir auch das Leben feiern wollen. Auch heute hatte das Platz und soll ihn auch hier bekommen: bei wunderbaren Mezze haben wir heute den gestrigen Hochzeitstag von Olga und Olivier gefeiert – wir gratulieren.

Ein langer Tag geht zu Ende. Thomas Andreas hat uns heute wirklich SEIN Wien gezeigt, ich bin dankbar. Eins ist klar: Wien ist anders als das beschauliche Linz – und nicht einfacher...

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Kommentare

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Gabi

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Gabi

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