Holocaust Gedenktag 1
von Maria-Christina Eggers (Kommentare: 0)
Der 5. Mai ist in Israel der Holocaust Gedenktag. Es ist ein emotional hoch geladener Tag. Wenn um 10h morgens alle Sirenen im Land ertönen steht für Minuten aller Verkehr still. Die Menschen auf der Strasse bleiben stehen. Das Leben erstarrt. Viele Gedenkfeiern finden an diesem Tag statt. Es ist Gedenken an die Opfer, aber auch Beschwören der nationalen Sicherheit. Nie wieder Opfer werden!
Während ich diese Zeilen schreibe sitze ich auf der Terrasse des palästinensischen Gästehauses Ecce homo und blicke über die Dächer von Jerusalem. Es ist der 4. Mai. „Wenn du kommst, organisiere ich eine Gedenkfeier“ hatte Michal Talya bei meinem letzten Besuch in Jerusalem im Februar gesagt. Und ich bin da.
„Was hat dein Vater im Krieg gemacht?“ Meine Gedanken gehen 15 Jahre zurück. Ich leitete ein Peace Camp des Katharina-Werks in Teufen und konnte eine Delegation aus Israel und Palästina einladen. Zu Michal hatte ich schnell guten Kontakt – bis ihr bewusst wurde, dass ich Deutsche bin, wie mehrere andere aus dem Team auch. Sie wollte sofort abreisen, die Atmosphäre war wie fragmentiert. Aus der Not setzten wir uns zusammen, nur Juden und Deutsche. Es wurde eine sehr emotionale und klärende Begegnung. Am Ende sagte Michal: „Wenn wir (Israeli) unser Problem mit den Palästinenser lösen wollen, müssen wir mit den Deutschen am Holocaust Thema arbeiten."
Sechs Jahre später. Unterstützt vom Katharina Werk konnte ich in Jerusalem ein Begegnungs- und Friedenszentrum aufbauen, Beit Catarina. Zum Holocaust Gedenktag führten wir in Beit Catarina erstmals eine Feier durch, für Juden und Deutsche gemeinsam. Der Andrang war so gross, dass wir ein Jahr später dafür einen öffentlichen Raum mieten mussten. Wieder ein Jahr später sagte Emma Ayalon, die den Anlass mit initiiert hat: „Jetzt laden wir auch Palästinenser ein!" Im Team waren Emma und Michal aus Jerusalem, Sami Awad aus Bethlehem und ich. Es wurde eine berührende und Herz öffnende Feier.
Ich musste Jerusalem und Beit Catarina verlassen, doch diese Gedenkfeiern wurden fortgesetzt. 2016 kann ich erstmals wieder dabei sein. Michal hat mich gestern am Flughafen abgeholt. Eine tiefe Freundschaft ist zwischen uns gewachsen. Wir tauschen aus, was uns auf die Feier hin bewegt. Dann erreichen wir die Stadt. Überall hängen israelische Fahnen. Ich sehe Lichterketten wie bei uns an Weihnachten. Michal erklärt: „Das ist schon für den bald kommenden Unabhängigkeitstag. Die jüdischen Israeli feiern, die Palästinenser trauern.“
Heute Morgen, die Hochstimmung von gestern gibt wieder der Schwere Raum, die über der Stadt lastet. Die Altstadt ist fast leer. Viele Geschäfte sind geschlossen. Es gibt keine Touristen. „Die Menschen haben keine Hoffnung mehr“. Immer wieder bekomme ich diesen Satz zu hören.
Im Zentrum unserer Feier von morgen werden Texte von Etty Hillesum stehen („Das denkende Herz“). Die Jüdin Etty wurde in Auschwitz ermordet. Ihr tief spirituelles Tagebuch ist ein einziger Ausdruck von Menschlichkeit und nie versiegender Hoffnung. Und wir wissen, es geht nicht alleine! Wir hier sind dankbar zu wissen, dass morgen zeitgleich Anna Gamma ein Zazenkai durchführt, dass eine Gruppe auch für uns meditiert, dass Anna Texte von Etty Hillesum hineinnehmen wird. Auch viele andere haben uns Zeichen ihrer Verbundenheit gegeben. So fühlen wir uns eingebettet in ein tragendes Netz, was immer der Tag morgen bringen mag.
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