Bosnien 2016 - Tag 8

von Zen Zentrum (Kommentare: 1)

Zu Prophetinnen und Propheten werden

Früh am Morgen steht ein Besuch in der Moschee von Sanski Most an. Vahidin Omanovic hat uns dazu eingeladen. Für einige von uns wird es der erste Besuch in einer Moschee sein. Wir lassen unsere Schuhe draussen und betreten den grossen menschenleeren Raum, wir Frauen tragen pflichtgemäss ein Kopftuch. Ein grüner Teppich bedeckt die gesamte Fläche. Gesponsert wurde er von Saudi-Arabien. Die Wände sind weiss und kahl. Abbildungen von Tieren und Menschen fehlen. Das Abbilden von lebendigen Wesen ist in Moscheen verboten.
Wir setzen uns auf den Boden in den Kreis. Vahidin erzählt, dass das im Kreis sitzen eine uralte Tradition ist. Und dass eine Moschee viele Funktionen erfüllt: hier wird gebetet, während die Kinder im selben Raum herumspringen und spielen, hier wird unterrichtet und diskutiert und hier werden auch Geschäfte vereinbart.
An der Wand, ausgerichtet nach Mekka, steht der Mihrab - der Ort, an dem der eigene, innere heilige Krieg ausgefochten wird.
Der professionelle Peacebuilder Vahidin erzählt weiter, dass Männer fünfmal am Tag zum Gebet kommen. Freitags um 13 Uhr ist der Besuch gar absolute Pflicht. Dann predigt auch der Imam. Die Frauen hingegen haben keine Pflicht zum Gebet.

Die Moschee wurde in der Vergangenheit viele Male zerstört, zuletzt 1992. Das Gotteshaus wurde dem Erdboden gleich gemacht und auf dem plangemachten Gelände wurden Schweine vom Grill verkauft. Für Muslime ist Schweinefleisch unrein. Doch so wie die Juden, glauben auch die Muslime, dass die Erde an sich sauber ist und folglich lassen sich Verunreinigungen auch wieder rückgängig machen.
Das meisten Geld für den Wiederaufbau der Moschee hat die Bevölkerung gespendet. Das war sehr wichtig für die Stärkung der muslimischen Identität in Sanski Most. Aber auch Saudi-Arabien hat investiert. Wir sehen es deutlich an der Inschrift auf dem grasgrünen Teppich.
Die Zuwendung aus dem arabischen Raum birgt aber auch eine grosse Gefahr. Der zunehmende Einfluss der Wahabiten ist ein Problem. Diese Gruppierung konnte in Bosnien zwar bisher nicht Fuss fassen, weil die Wurzel des bosnischen Islams auf den Sufismus gründet und man glaubt im Wesentlichen, dass Gott in allem ist. Für die Wahabiten bedeutet diese Sicht jedoch Blasphemie.

Aus Vahidins Erzählungen hören wir heraus, dass er sich über die zunehmende Radikalisierung ernsthafte Sorgen macht. Die Spannungen zwischen den verschiedenen islamischen Strömungen nehmen zu. Ein Konflikt könnte gewaltsam ausbrechen. Vor allem die junge Generation ist dem Nationalismus sehr zugeneigt. Vahidin und seine Peacebuilding Organisation CIM arbeitet an der Wahrung des Friedens.

Trotz dieser etwas düsteren Aussichten stellen wir fest, dass der Islam, im Gegensatz zum Juden- und Christentum, durchaus viele Argumente für die Offenheit gegenüber anderen Religionen kennt. Eine Frau des Propheten Mohamed war Jüdin, eine andere Christin. So sagt Vahidin, dass ein Prophet sich dadurch auszeichnet, allem und allen zu vergeben. Und weiter meint er, dass wir letztlich alle zu Prophetinnen und Propheten werden müssen.

Später fahren wir mit der CIM-Crew auf einen nahegelegenen Bauernhof, den die Organisation gekauft hat, um hier eine Peacefarm nach den Prinzipien der Permakultur aufzubauen. Oliver und seine Freundin aus Deutschland werden den Hof mit Kühen, Schafen und Ackerbau führen. Er findet in Helen eine wichtige Mentorin und Ratgeberin. Bereits im Mai wird er sie auf ihrem Hof besuchen. Auf einem weiteren Landstück ist die Peace Embassy mit Youthhostel, Coffeeshop und Peace Training Center geplant. Vahidin Omanovic und Mevludin Rahmanovic mit ihrer Crew sehen einer dynamischen und vielversprechenden Zukunft entgegen.

Nach einem weiteren reichen Tag an Eindrücken kehren wir müde aber zufrieden und erfüllt nach Banja Laktaši zurück.

Im Hotel feiert eine grosse Reisegruppe fröhlich und ausgelassen mit Musik, Gesang und reichlich Alkohol. Als die Gruppe aber um 23:30 ihre Feier auf die Zimmerstöcke verlagert, übernehme ich die unpopuläre Aufgabe der Polizistin. In perfektem Bosnisch sage ich ihnen ordentlich meine Meinung und halte sie zur sofotigen Ruhe an. Meine resolute Intervention hat gewirkt. Ich lege mich ins Bett und träume davon, Prophetin zu werden.

Alexandra Zvekan

Alle Artikel anzeigen

Kommentare

Kommentar von jamil |

"ausgerichtet nach Mekka, steht der Mihrab - der Ort, an dem der eigene, innere heilige Krieg ausgefochten wird"

Danke für den schönen Bericht. - Nur eben, was wohl obiger Satz bedeuten mag. Von wegen heilig, von wegen Krieg, innen ... - Vielleicht hilft uns jemand hier weiter??

Einen Kommentar schreiben

Bitte rechnen Sie 5 plus 8.