Spuren...

von Maria-Christina Eggers (Kommentare: 0)

Bericht aus Ibayo – Manila

Alles begann mit einer interkulturellen Begegnung. Der Ort: Kamakura in Japan. Die Personen: Pia Gyger aus der Schweiz und Mila Golez aus den Philippinen. Grund ihres gemeinsamen Aufenthaltes ist die Zen-Ausbildung bei Yamada Roshi. Mit seiner Billigung und Unterstützung möchten sie später diesen Schatz aus dem Buddhismus in ihre Heimatländertragen.

Mila Golez ist sich der 300-jährigen Kolonialisierungsgeschichte ihres Landes sehr bewusst. Auf «Weisse» ist sie nicht gut zu sprechen. Pia Gyger lässt sich davon nicht entmutigen, im Gegenteil. Sie sucht den Austausch. Sie erfährt, dass Mila in Ibayo, einem Slum in Metro-Manila, unter den Ärmsten der Armen eine Jugendgruppe aufgebaut hat. Und sie ist elektrisiert: die Arbeit mit Jugendlichen war ihr immer schon ein Herzensanliegen, und noch dazu unter diesen Bedingungen! «Komm und sieh, wie man dort lebt», sagt Mila. Pias freudige Zusage nimmt sie entgegen, aber nicht ernst. «Die kommt doch nicht», ist ihr Gefühl.

Aber Pia kommt. Sie ist zu dieser Zeit – im Beginn der 90-er Jahre – Leiterin der ökumenischen Gemeinschaft Katharina-Werk. Zusammen mit zwei Mitschwestern besucht sie Mila und lässt sich nach Ibayo führen. Sie ist beeindruckt von der Jugendgruppe und der Arbeit, die Mila geleistet hat, u.a. im Bereich der Meditation. Sie hat etwas Spendengeld mitgebracht und fragt die Jugendlichen nach ihrem Wunsch für die Gruppe. Der Wunsch überrascht und berührt sie: «Etwas lernen!» und zum anderen „Karren und Besen für die Reinigung der Gassen“, mit anderen Worten: Bildung und Schönheit.

Dies ist der Beginn einer 10-jährigen Projektgeschichte und einer 30-jährigen Verbundenheit zwischen Filipinos in Metro-Manila und Mitgliedern des Katharina-Werks aus der Schweiz und Deutschland.

Die weiteren Schritte sind schnell genannt. Jahr für Jahr werden nun philippinische Jugendliche und Erwachsene aus Ibayo zu den internationalen Peace Camps der Gemeinschaft in Teufen /AR eingeladen. Das Katharina-Werk erwirbt eine Hütte in Ibayo, die den Namen «Sister Pia`s Greenhouse School» trägt. Greenhouse, weil sie grün gestrichen ist. Aber auch, weil Greenhouse «Treibhaus» bedeutet – ein Ort, der Wachstum und Entwicklung fördert. „School“ weil Pia ein spirituell-politisches Programm entwickelt hat, das unter dem Motto steht: «Mit den Augen der materiell Armen sehen lernen». In dieser Haltung kommt jedes Jahr um Weihnachten eine Gruppe aus Europa und Amerika für einige Wochen im Greenhouse zusammen. Es sind Mitglieder des Katharina-Werks und Interessierte aus der Schweiz und Deutschland, nicht zuletzt solche, die in der Wirtschaft Verantwortung tragen. Auf engem Raum bietet die Hütte Schlafmöglichkeiten für 8 – 10 Personen. Täglich wird meditiert, dann kommen Impuls und Austausch zur spirituell-politischen Bewusstseinsbildung. Und immer wieder die Frage: Was haben wir bei uns zu verändern? Der Nachmittag ist zum persönlichen Verarbeiten da und für Kontakte zu den Menschen von Ibayo. Nach Pia Gyger übernimmt bald Anna Gamma die Leitung und öffnet die Schulstunden auch für Menschen aus dem Slum.

Das Lernen miteinander und voneinander steht im Zentrum. Doch es ist notwendig, der Armut auch konkret etwas entgegenzusetzen. Dafür werden gezielt Projekte entwickelt: ein Nähprojekt, das Frauen ein Einkommen ermöglicht. Ein Landkaufprojekt, das vor staatlichem Demolieren der Hütten schützt. Ein Jugendprojekt, in dem die schon vorhandene spirituell-politische Jugendarbeit durch Ausbildungsstipendien ergänzt wird.

Im Januar 2000, nach fast zehn Jahren, läuft dieses Projekt aus.
Im Januar 2020 sitzen wir, Anna Gamma und ich, in dem mittlerweile ausgebauten Wohnraum von Edith Acosta, die einst unsere Nachbarin war. Edith hat Nachbarn und «Ehemalige» zusammengetrommelt, auch ihr Enkel ist dabei. Bald sind wir 16 Personen. In der vertrauten Weise tauschen wir in einer «Wir-Runde» aus, was uns bewegt. Staunend erkennen wir, dass wir als drei Generationen zusammen sind. Vier Frauen und ein Mann von Ibayo, die damals mit uns aktiv waren, jetzt sind wir 20 Jahre älter. Drei, die damals zur Jugendgruppe gehörten und nun in der Mitte ihres Lebens stehen. Eine hat ihre 12-jährige Tochter mitgebracht. Und vier junge Frauen, deren Ausbildung vom Katharina-Werk finanziert wurde und kurz vor dem Abschluss steht. Sie kennen «Sister Pia`s Greenhouse School» nur noch vom Erzählen. Edith äussert sich enttäuscht, dass von den ehemaligen Stipendiaten generell zu wenig an die nachfolgenden Generationen zurückgetragen und weitergegeben wird, was sie vor Jahren gelernt haben. Edith brennt für dieses Anliegen, und der Funke springt über. Die jungen Frauen wünschen sich «wie früher» gemeinsame Aktionen für das Ganze von Ibayo, zum Beispiel das Aufsammeln von Abfall. Sie vermissen jedoch die inhaltlichen und spirituellen Impulse. Alle Anwesenden zeigen sich bereit, sich dafür zu engagieren. Anna Gamma und ich versprechen, bei weiteren Philippinenaufenthalten jeweils an einem Nachmittag für die Jugendlichen von Ibayo einen Workshop zu gestalten.

Es geht weiter. Und alles begann mit der Begegnung von Pia Gyger und Mila Golez, zwei Frauen mit einem brennenden Herzen und Tatkraft.

Nachtrag, zwei Wochen später: Es geht schnell weiter! Eine Frau aus der «mittleren Generation», die damals in Ibayo ihren Lebenspartner unter den «Grantees» gefunden hat, schreibt:

«Ihr habt inzwischen auch von dem Ausbruch des Taal Vulkans gehört, und ich weiss, dass auch ihr darüber entsetzt seid. Bitte, hört nicht auf zu beten für die Opfer und die, die freiwillig Hilfe leisten.
Andererseits möchten wir euch mitteilen, dass euer Besuch in Ibayo sehr viel ausgelöst hat .Die Mitglieder der Jugendgruppe (von jetzt und damals) haben einen Gruppenchat gebildet, um miteinander in Kontakt zu kommen. Sie denken über ein Projekt nach, wie sie etwas für Ibayo tun können, aber im Moment wollen sie auf ihre eigene kleine Weise den Opfern des Vulkanausbruchs helfen. Ich bin überwältigt vor Freude, dass sie jetzt inspiriert sind, ihre Gruppe neu aufzubauen und der Community und anderen, die in Not sind, etwas zurückzugeben.»

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